Gabriel Bergers autobiografisches Buch "Allein gegen die DDR-Diktatur" versetzt
die Leser, dreißig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, zurück in den Alltag
des "realen Sozialismus". Die zum Teil bizarren Details seines intellektuell
ausgefochtenen Kampfes gegen die Diktatur untermauert er in dem Buch mit Kopien
und Abschriften von Stasi-Akten, welche die Authentizität seiner Erinnerungen
unterstreichen. Gabriel Bergers Erzählung ist insofern untypisch, als er in der
weitgehend "ethnisch homogenen" DDR zu der Handvoll "Zugewanderter" gehörte. In
dem Buch beschreibt er die unter-gegangene DDR als ein Insider mit einem
Outsider-Blick. In seinem Buch schreibt er:
"Als ich 1957 dreizehnjährig aus Polen in die DDR kam, war mir dort eine steile
Karriere fast sicher. Denn vor Hitlers Machtantritt ist mein Vater in Berlin
kommunistischer Funktionär gewesen, der nach dem Reichstagsbrand ins Ausland
fliehen musste.In der DDR galt er folglich als ein Kämpfer gegen den Faschismus.
Er gehörte somit zum kommunistischen Adel, der in der DDR auf die nächste
Generation vererbbar war. Da meine Eltern polnische Juden waren, die sich vor
den Nationalsozia-listen verstecken mussten, und ich selbst 1944 im von
Deutschen besetzten Frankreich geboren wurde, war auch ich, wie meine Eltern,
in der DDR als Verfolgter des Naziregimes (VdN) anerkannt, was mit erheblichen
materiellen und sozialen Privilegien verbunden war. In der Oberschule war ich
ein Musterschüler, mit besonderer Begabung für Mathematik und
Naturwissenschaften, und, was in der DDR noch mehr zählte, ich brachte aus
dem Elternhaus das `richtige` sozialistische Weltbild mit. Dass ich einen
Studienplatz für Physik an der TU Dresden bekam und das Studium mit Bravour
absolvierte, war selbstverständlich."
Bis dahin deckte sich Gabriel Bergers Biographie weitgehend mit der von anderen
jungen Leuten, die in der DDR in jüdischen Familien aufwuchsen. Die Juden,
meist engagierte Linke, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die Ostzone,
später in die DDR kamen, waren entschlossen, sich in diesem vermeintlich
besseren Teil Deutschlands am Aufbau einer humanen, sozialistischen
Gesellschaft zu beteiligen. Nach dem Exodus Anfang der fünfziger Jahre, als
j&uul;dische Rückkehrer aus der West-Emigration pauschal der Spionage für den
Westen verdächtigt wurden, waren nur noch einige Hundert Juden in der DDR
verblieben. Nur wenige von ihnen waren Mitglieder jüdischer Gemeinden,
meist aber zugleich Mitglieder der SED.
Den Sprösslingen jüdischer Familien standen in der DDR alle Türen offen,
allerdings unter der Bedingung strikter Loyalität zum Staat. Die meisten
erfüllten die von der DDR-Führung an sie gerichteten Erwartungen. Oft
traten sie schon mit achtzehn Jahren der SED bei und nicht wenige gingen in
ihrem Eifer für die Sache des Sozialismus so weit, Protokolle über die
Mitmenschen für die Staatssicherheit zu schreiben, weil man doch die humane
Gesellschaftsordnung vor ihren angeblich inhumanen Gegnern schützen müsse.
Auch Gabriel Berger identifizierte sich als Schüler voll mit dem DDR-System.
1961 befürwortete er sogar den Bau der Mauer als Schutzmaßnahme gegen den Westen.
Doch als Physik-Student geriet er schon bald auf ideologische Abwege. Unter dem
Einfluss der demokratischen Opposition in Polen distanzierte er sich von der
allgegenwärtigen Diktatur in der DDR, die auch in die Kultur und in die
Privatsphäre der Menschen massiv eingriff. Vergeblich bemühte er sich
darum, die DDR-Staatsbürgerschaft abzulegen, um so den Freiheitsraum für
sich zu erweitern. Das wurde ihm nach Abschluss des Studiums mit der Einberufung
zur Nationalen Volksarmee quittiert. Doch der preußische Drill konnte ihn
nicht disziplinieren, ganz im Gegenteil vergrößerte er noch seine
Abneigung gegen die diktatorischen Verhältnisse in der DDR. Dafür sorgte auch
der Einmarsch der Truppen der Sowjetunion und der "Bruderländer" in die
Tschechoslowakei im August 1968. Denn die Reformideen des "Prager Frühlings"
in der Tschechoslowakei ließen Gabriel Berger, wie damals in der DDR
unzählige junge Menschen, auf Demokratie und Freiheit im Sozialismus
hoffen. Der Einmarsch in die Tschechoslowakei machte alle Hoffnungen und
Illusionen zunichte. Der Sozialismus des Ostblocks ließ sich nicht reformieren,
er war und blieb eine Diktatur. Für Gabriel Berger wurde die DDR nie eine
Heimat, auch dann nicht, als er nach dem Militärdienst als Physiker am
Zentralinstitut für Kernforschung Rossendorf bei Dresden tätig war.
Er grübelte über eine Möglichkeit, die hermetisch abgeschlossene DDR
legal zu verlassen. Diese schien gekommen zu sein, als sich im Jahr 1975 auf
der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsinki
alle Ostblock-Staaten verpflichteten, die grundlegenden Menschenrechte zu
respektieren. Dazu gehörte auch das Recht, das Land zu verlassen. Eine Flut von
Anträgen, die DDR zu verlassen ergoss sich über die Behörden. Gabriel
Berger schloss sich dieser Welle an. Er reichte einen politisch motivierten
Antrag auf Verlassen der DDR ein. Darin bescheinigte er der DDR weder
demokratisch, noch sozialistisch zu sein. Denn ein Sozialismus ohne Demokratie
sei undenkbar. Um seine Haltung zu unterstreichen beschloss er, sich ab sofort
so zu verhalten, als sei die DDR ein demokratischer Staat. Die Ablehnung seines
Ausreiseantrags beantwortete er mit Protesten an Behörden und mit demonstrativen
Aktionen, wobei er sich streng an den gesetzlichen Rahmen hielt.
Etwa dreißig Jahre später erfuhr Gabriel Berger aus Stasi-Akten, dass seine
Taktik voll aufgegangen war. In der Staatssicherheit wurde der Beschluss
gefasst, den lästigen Querulanten in den Westen abzuschieben, um nicht
seine Kollegen und andere DDR-Bürger mit dem Bazillus des Widerstandes zu
infizieren. Doch im Unglauben an ein positives Resultat der von der
Staatssicherheit verkündete Absicht, seinen Ausreisefall beschleunigt zu
bearbeiten, überzog er sein Spiel mit den Behörden und wurde für ein Jahr
wegen "Staatsverleumdung" eingesperrt.
Aus dem Gefängnis wurde er von der Bundesregierung in den Westen freigekauft,
wo er sich aktiv an der Aufklärung der Öffentlichkeit über die
DDR-Diktatur beteiligte. Sein besonderes Engagement galt der polnischen
demokratischen Massenbewegung "Solidarnosc". Auch deshalb galt er den
DDR-Behörden nach wie vor als ein gefährlicher Staatsfeind. Er wurde
im Wesen, später auch bei seinen Besuchen in der DDR, von Stasi-Spitzeln
beschattet. Die Stasi-Beobachtungsprotokolle füllen mehrere Aktenordner.
In seinem Buch stilisiert sich Gabriel Berger nicht zum Helden. Er äußert
im Gegenteil sein Verständnis für die Passivität der
Mitläufer von Diktaturen, die so ihr eigenes Leben und das der Partner
und Nachkommen schützen. Sie verhielten sich, so Gabriel Berger, normal.
Die Aufsässigen seien es, die gegen die Regeln der Natur verstießen. Sie
seien Getriebene, die ihrem irrationalen Drang nach Freiheit folgten.